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Vintage im Fokus: Fotografin Nina Kreuzinger im Interview

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Vintage-Kleidung, analog fotografiert und selbst die Filme dazu stammen vom Flohmarkt: Ein außergewöhnliches Shooting von Fotografin Nina Kreuzinger beweist, dass Mode zeitlos und nachhaltig ist. Die DIVA bat die Künstlerin zum Gespräch.

 

Wenn sie von ihren Streifzügen durch Antiquariate, Flohmärkte und Vintage-Läden erzählt, gerät Nina Kreuzinger leicht ins Schwärmen. Dass sie dabei aber nicht wahllos „Schätze“ anhäuft, sondern sich von ihrer Intuition und ihrem Gefühl für die Kleider und Stücke leiten lässt, zeigt sich auch in ihrer aktuellen Arbeit. Ein Modeshooting mit Kleidern aus ihrem umfangreichen Fundus: Von der Strumpfhose bis zur Bluse ist jedes Teil „second Hand“ und strahlt dennoch eine zeitlose Modernität aus. Wo die Modebranche sich gerade selbst hinterfragt und Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle spielt, zeigt Kreuzinger die Gestaltungsvielfalt von „Gebrauchtem“.

 

Woher kam die Idee für dieses „All Vintage“ Shooting?

Vor einiger Zeit hat mich ein Artikel in einer Modezeitschrift daran erinnert, wofür „Fashion“ ursprünglich steht: Gestalten. Ganz ohne Wertigkeiten. Auf der nächsten Seite war ein Markenpulli um 1.200 Euro abgebildet. Ich war jedenfalls inspiriert und habe diese Serie ausschließlich mit Secondhand-Teilen gestaltet. Dazu gehören auch die analoge Kamera, Stativ, Auslöser und die Filme – mit „Ablaufdatum“ 1998.

 

Welche „Schätze“ befinden sich in Ihren Kleiderschränken?

Der Beziehung wegen ist der Inhalt meines Kleiderschranks für mich sehr wertvoll. Nicht des Preises wegen. Ich finde meine Stücke in Second Hand-Läden und auf Flohmärkten. Das braucht Zeit und die Bereitschaft, sich einzulassen – auch auf die damit verbundenen Geschichten und Empfindungen. Die fließen auch in meine Foto- und Filmarbeiten ein, unausgesprochen. Formen, Farben, Patina sind weitere Ebenen, die unterschiedlich gedeutet werden können. Kleidung, am Körper und in Bewegung, hat ja viel zu sagen, wenn sie nicht auf Label und Preis reduziert wird. Mittlerweile lebe ich schon mit ein paar Sammlungen: Blusen, Morgenmäntel, Handschuhe und Koffer etwa, die in meinen Arbeiten eine Rolle spielen. Und die mich auch im Alltag begleiten.

 

„Vintage“ liegt gerade im Trend oder denken Sie, dass diese Bewegung auch eine Zukunft hat?

Ich nehme oft Berührungsängste hinsichtlich „Übertragenem“ wahr, obwohl Tauschplattformen und Vintage-Läden starken Zulauf haben. Durch die Folgen der Finanzpolitik wird die Kreislaufwirtschaft sicher noch mehr gesellschaftsfähig werden. Ein Wertewandel führt vielleicht zu einer anderen Freiheit als jener, einen in Billiglohnländern produzierten Marken-Turnschuh zur Galarobe tragen zu können. Als ich ein Kind war, gab es noch keine Fast Fashion-Shops, Übertragenes zu tragen war selbstverständlich. So habe ich die Pullover von meinem Bruder geerbt. Da gab es ein spezielles XL-Kapuzenteil, in dunkelblau. Das habe ich geliebt. Nicht weil es so toll ausgesehen hat, sondern weil es mir ein Gefühl vermittelt hat: Geborgenheit.

 

Das ist wohl auch der Grund, warum es mich zu den „alten“ Dingen zieht. Ihre Ausstrahlung. Sie haben ihre Geschichte und entsprechen meist nicht den „aktuellen Trends“. Aber auch die Mode zeigt uns, dass sich im Grunde alles zyklisch wiederholt und dass es an uns liegt, weiterzuentwickeln und bewusst zu gestalten – oder eben nicht. Derzeit ist schneller Konsum normal und die Mode-Konformität bietet wohl auch eine Art Sicherheit und Zugehörigkeitsgefühl. Dazu kommt, dass viele Leute einer Arbeit nachgehen, die oft Selbstaufgabe und Anpassung verlangt. Abends folgt oft die Belohnung via Shopping. Und die Modeindustrie schiebt mittlerweile mehrmals pro Jahr eine neue Kollektion nach. Das Entdecken der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten macht unabhängiger.

 

Was bedeutet Luxus für Sie?

Wahrer Luxus ist für mich, dass ich einen Weg gefunden habe und ein Medium, mit dem ich mich spielerisch und spontan ausdrücken kann. Und ich bin überzeugt, jeder Mensch hat natürlich künstlerische Anlagen, man muss kein „Künstler“-Leben leben. Meine Postbotin etwa macht nach Dienstschluss extrem geniale Torten-Dekos. Aus reiner Freude.

 

In vielen ihrer künstlerischen Arbeiten stehen Sie selbst auch vor der Kamera. Auch für die Vintage-Serie sind Sie Ihr eigenes Model.

Für mich ist Kunst frei von Künstlichkeit und schön ist für mich, was mich innerlich berührt. Modefotografie wird oft mit teuren Kameras und Kleidern, Assis, Stylisten, „idealen“ Frauen und Flugreisen zu tollen Locations verbunden. Bei mir geht es nicht um Perfektion und ich genieße es, möglichst alles selbst zu machen. Fotografin und gleichzeitig das „Model“ zu sein, bedeutet auch Unabhängigkeit. Ich kann jederzeit und ganz nach meinem Rhythmus arbeiten. In meinem Arbeitszugang habe ich wenig Kontrollmöglichkeit. Der Zufall spielt daher auch immer eine große Rolle. Ich muss alles messen und schätzen und manuell einstellen – und dann surrt mein mechanischer Selbstauslöser, ohne exakte Zeitangabe: Ich weiß also nie genau, wann es soweit ist. Ich verwende auch keinen Spiegel, sondern konzentriere mich auf das, was meine Kleidungsstücke an mir bzw. bei mir bewirken. Und spannend wird es, wenn sich die unbewussten Prägungen durch jahrelanges Schauen der gängigen Modebilder einmischen. Meist ergibt sich intuitiv eine Bewegung, eine Geste. Das zeigt sich auch in den Unschärfen. Ich mag die, weil sie für mich für Lebendigkeit stehen.

 

Ein wiederkehrendes Element in Ihren Arbeiten ist die Weiblichkeit.

Das Frauenthema ist in meinen Arbeiten so präsent, weil die Fotografie für mich ein Mittel ist, meine Weiblichkeit zu erforschen. Ich kanalisiere und reflektiere so, was sich zeigen will. Was aufzuarbeiten, was noch zu entwickeln ist. Die experimentelle Arbeit ist für mich also auch immer mit inneren Prozessen verbunden. Und die wirken oft sehr transformativ.

 

Nina Kreuzinger, geb. 1976, lebt in Wien.

Die Journalistin, Fotografin und Filmemacherin beschäftigt sich in vielen ihrer Arbeiten mit dem “Altem”. Ihre Artikelserie über die Gründerzeithaus-Abrisse in Wien wurde 2018 mit dem Dr. Karl Renner Preis ausgezeichnet. (DIVA / 5. Mai 2020)

 

Vintage / "Diva", 2020 © Nina Kreuzinger